Kapitel 23

Die innere Einstellung als therapeutischer Schlüssel

DAS HINDERLICHE PARADOX DER ABSICHT

Es kommt vor, dass wir alles anwenden, was wir gelernt haben, ohne dass wir zu einer tiefen Einsicht gelangen. Ein letzter Schlüssel bleibt noch, und das ist der Schlüssel der inneren Einstellung.

Es gibt da ein Rätsel, und es liegt in unserer Einstellung zu unserer therapeutischen Arbeit. Während der ganzen Menschheitsgeschichte hat dieses Rätsel alle Anstrengungen, Weisheit zu erlangen, zunichte gemacht. Dieses Paradoxon könnte man das HINDERLICHE PARADOX DER ABSICHT nennen. Es entsteht, sobald wir versuchen, an unserer Erleuchtung zu arbeiten, ob auf dem Gebiet der Psychotherapie oder der eigentlichen spirituellen Erleuchtung. Die Schranke dieses Paradoxes der Absicht besteht darin, dass wir den folgenden Gegensatz auflösen müssen: Während wir uns mit allen Kräften darum bemühen, unsere innere Arbeit zu erledigen, müssen wir genau gleichzeitig loslassen und uns entspannen. Es gibt mehrere Gründe dafür, dass es zu diesem Paradox kommt.

Unser waches Bewusstsein kann sich immer nur auf eine Sache auf einmal einstellen. Wir können das Entstehen von ganzheitlichen Einsichten nicht erzwingen. Wir können nur auf sie hoffen. Einsichten kommen als Geschenk. Wir machen sie nicht. Alles, was wir tun können, ist, die Umstände in uns zu schaffen, welche uns öffnen, sodass wir Empfänger von Weisheit (d.h. von Einsichten, die über egozentrische Bedürfnisse hinaus gehen) werden. Das eigentliche Geschenk, nämlich die Einsicht, können wir nicht durch eigenes Tun in unser Bewusstsein holen. Das geht über unsere Möglichkeiten hinaus. Aus diesem Grund muss die eine Seite des HINDERLICHEN PARADOXES DER ABSICHT die Qualität von Loslassen und Offensein haben, sonst öffnen sich die vielen schmalen Pforten der Psyche nicht.

Vielleicht zu unserem Glück lassen sich die Gaben der echten Weisheit nicht durch Manipulation ins Leben rufen. Wäre das möglich, so könnten gerissene Drahtzieher tiefe Weisheiten gegen uns alle benutzen. Tatsächlich gehört es zum Wesen tiefer Weisheit, dass sie Manipulation aufhebt. Sie löst die manipulative Einstellung auf, sobald sie auftaucht.

Die andere Seite des HINDERLICHEN PARADOXES DER ABSICHT ist ebenso klar: Wenn wir uns nicht wirklich bemühen, nach innen auf die Suche zu gehen, bekommen wir Einsichten wohl kaum geschenkt. Wir müssen deshalb viel Intensität und Hingabe dafür aufbringen. Diese Intensität muss sowohl bei der Verfolgung der Gefühle als auch bei dem tatsächlichen Erleben der Gefühle vorhanden sein. Zusätzlich dazu müssen wir uns mit außerordentlicher Intensität auf unsere Arbeit konzentrieren und jede Technik, die wir hier erlernen, sehr genau anwenden. Auf dieser Seite des hinderlichen Paradoxes geht es also bei der ganzen Reise darum, uns intensiv zu bemühen und uns voll auf die Arbeit zu konzentrieren. Jetzt verstehen wir das Wesen dieses Paradoxes: Es verlangt von uns, intensives Streben und tiefes Loslassen miteinander zu verbinden.

Die Lösung für das hinderliche Paradoxes der Absicht

Die Auflösung dieses hinderlichen Dilemmas liegt in der Kultivierung einer speziellen inneren Einstellung.

Diese neue Einstellung heißt Demut. Wahre Demut arbeitet hart und ist voller Hoffnung, doch sie ist frei von eigennützigen Erwartungen. Echte Demut zeigt ein hohes Ausmaß an Absicht, doch ohne Gier auf Belohnung, ohne den gierigen Egoismus des Manipulators, der die Arbeit am geistigen Wachstum mit der Vorstellung beginnt, er könne die Tore der Psyche direkt und unmittelbar aufbrechen, und zwar nur, um die eigene persönlichen Macht auszuweiten.

Zur Lösung des Problems uns intensiv zu bemühen und gleichzeitig entspannt loszulassen  - müssen wir unserem Gehirn eine Botschaft übermitteln, die es ihm erlaubt, diese Einstellung zu entwickeln. Wir können dabei behilflich sein, indem wir zwischen den Perioden intensiver Arbeit über die Schwierigkeit unseres hinderlichen Paradoxes (Streben und Loslassen) nachdenken. So können wir uns von Zeit zu Zeit in unserem Alltag mit diesem Problem befassen und uns darauf einstimmen, als Grundlage unserer intensiven Arbeit eine entspannte Einstellung zu kultivieren.

Wenn wir dem Unbewussten diese Botschaft immer wieder vermitteln, wird diese nach unten an das tiefe Selbst weitergegeben. Mit der Zeit wird sie zu einem unbeschädigten Schlüssel zu den FEHLERFREIEN PROZESSEN DER HOLISTISCHEN EINSICHT. Dies ist eine der seltenen Gelegenheiten, wo wir uns direkt darum bemühen können, einen Fehlerfreien Prozess zu schaffen (die Einstellung der wahren Demut). Es ist fast so, als würden wir unserem Gehirn einen posthypnotischen Auftrag geben, oder uns immer wieder sagen, dass wir uns an unsere Träume erinnern wollen. Das Unbewusste hört uns und gibt uns schließlich das, was wir brauchen.

Hinzu kommt noch Folgendes: Während wir allmählich mit Entspannung und tieferer Einsichten beschenkt werden, wird uns immer deutlicher, dass, auch wenn wir selbst an unserem Wachstum arbeiten können, die Einsichten an sich doch ein Geschenk sind. Dieses Wissen gibt uns inmitten unseres Strebens die Entspannung, die nötig ist, um unser Wachstum fördern.

Je mehr wir an alldem arbeiten, desto klarer sehen wir. Je klarer wir sehen, umso mehr Vertrauen haben wir in die Prinzipien unserer Therapie. Diese nach oben gerichtete Wissensspirale führt langsam und allmählich zur Erfahrung des Erwachens, zu einer Art psycho-biologischem SATORI in Zeitlupe. Zu diesem allmählichen Erwachen kommt es durch plötzliche kleine Einsichten, die unser wachsendes organisches und ausgewogenes neues Bewusstsein erweitern und steuern. Diese Wachstumssprünge, die je nachdem klein oder groß sein können, sind vielleicht mit den Quantensprüngen der Energie in der subatomaren Physik vergleichbar.

Nun verstehen wir, wie es zur Auflösung des Rätsels des HINDERLICHEN PARADOXES DER ABSICHT kommt: Sie liegt in unserer Einstellung gegenüber dem Wachstum. Wir bemühen uns, unsere Übungen intensiv und äußerst sorgfältig zu machen, während wir gleichzeitig wissen, dass wir aus eigener Kraft nicht zu Einsichten gelangen können. So harren wir aus, machen unsere Arbeit und warten mit Geduld und Offenheit. Nun fangen die vielen kleinen Pforten an, mit unserem neuen Bewusstsein mitzuschwingen.


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