KAPITEL 22

Spezifische Gegenmuster, um die Abwehrtricks des Gehirns aufzulösen

DIE AKTIVIERUNG DER UNBESCHÄDIGTEN FUNKTIONEN DER PSYCHE

1. Das Muster "Dranbleiben"

2. Der Magische Zeitreise-Teppich

3. Zeitkiesel

4. Holistische Einsicht

GEGENMUSTER, UM DIE ABWEHRTRICKS DES GEHIRNS ZU UNTERLAUFEN:

1. Das Muster "Dranbleiben"

Ich erinnere an etwas, das wir im ersten Teil dieses Buches gesehen haben: Wenn wir so lange in einem Gefühl bleiben, bis es intensiv genug geworden ist, und genug Zeit vergangen ist, bewirkt das eine gründliche Neuorientierung der Balance zwischen Bewusstem und Unbewusstem. Wenn wir uns aktiv von unserem intellektuellen, zerebral gesteuerten Funktionieren (dem normalen Alltagsdenken) abwenden, uns unserer Sinneserfahrung überlassen und Gefühlen und Körperempfindungen gegenüber aufmerksam bleiben, dann richtet sich das Gehirn neu aus, auf tieferes, unterdrücktes Material hin. Das neue Gespür, auf das wir uns damit einlassen, wirkt wie ein Magnet und zieht die Vergangenheit kraftvoll und erfahrbar in unser Bewusstsein. Dieses Phänomen des DRANBLEIBENS ist der zentrale und entscheidende Mechanismus bei jeder gefühlsorientierten Regressionstherapie. Es ist unser ständiger Begleiter, der die Erfahrungen der Tiefentherapie untermauert und hervorruft. Durch das DRANBLEIBEN und nur durch das DRANBLEIBEN bleiben wir kontinuierlich im ZENTRALEN PARADOX DER THERAPIE, und das erlaubt uns das reale Wiedererleben der Verletzung, und das ist ja unser einziger Weg in die Freiheit.

Der Therapeut übt einen kontinuierlichen, sanften Druck gegen das normale Alltagsgespräch des Klienten aus. Diese Arbeit ist ständig im Gange und hört so lange nicht auf, bis der Klient so weit ist, dass er tief, fest und bewusst erkennt, dass das normale Alltagsgespräch eine Abwehr ist. Diese Abwehr muss entweder benutzt werden, um die Gefühle aufzuspüren, mit denen wir therapeutisch arbeiten wollen, oder sie muss  ganz zerstört werden. (Lies bitte noch einmal den Abschnitt in Kapitel 4 über die KONGRUENZ UNARTIKULIERTER UND ARTIKULIERTER LAUTE.)

Der Bruder meines Mannes platzt ständig einfach so in unsere Wohnung. Ich hab meinen Mann gebeten, ihn darauf anzusprechen, aber er tuts einfach nicht. Ich weiß, sie sind sehr vertraut miteinander, aber ...

* Du bist jetzt im Eingangsbereich deines Hauses. Stell dir vor, du siehst, wie der Bruder deines Mannes gerade  zur Tür hereinkommt. Fixiere diesen Moment in deinem Geist. Halte die Szene fest und lass dich das fühlen, was du fühlst, wenn es passiert.

Nun, ich weiß, dass er jedes Recht hat, hier zu sein und ...

* Erzähl mir keine Geschichten. Rechtfertige das Ganze nicht. Versetze dich in die Diele und fühle das Gefühl.

Ich hab überhaupt kein Gefühl ...

* Stell dir nochmal die Diele vor, stell dir vor, wie der Bruder herein kommt. Geh in die Szene rein. Schau ihn an und warte, bis ein Gefühl sich zeigt

Ich vermute, ich bin ärgerlich.

* Vermute nicht. Vermuten hat einen Fuß in deinem Denken und den anderen in der Verleugnung deiner Gefühle. Versetze dich wieder in die Diele. Schau den Bruder an und warte, bis du weißt, was du fühlst.

Ich bin wütend.

* Lass die Wut hoch kommen und bleibe drin. Spüre hin, wo sie in deinem Körper sitzt. Fühle dich in ihre Intensität und Textur hinein.

Hau ab aus meiner Wohnung!

* Wiederhole diesen Satz fünf- bis zehnmal.

Hau ab aus meiner Wohnung ... Hau ab aus meiner Wohnung ... HAU AB AUS MEINER WOHNUNG ... ( und so weiter ). Es ist mein Bruder, er platzte ständig in mein Zimmer, um zu gaffen, wenn ich mich anzog.

* Nimm dir etwas Zeit, um dich daran zu erinnern, wie sich das angefühlt hat, und dann sage deinem Bruder den ersten einfachen Satz, der dir einfällt.

( die Klientin wird sehr wütend ) Verpiss dich aus meinem Zimmer...

* Sag diesen Satz immer wieder, bis du damit fertig bist.

Die Klientin schreit den Satz mehrmals und wird dabei immer lauter. Schließlich legt sie sich wieder hin, sie ist völlig erschöpft.

* Jetzt versetze dich zurück in die gegenwärtige Situation mit dem Bruder deines Mannes in der Diele. Was fühlst du?

Wenn ich jetzt darüber nachdenke, bin ich gar nicht mehr so wütend.

* Was würdest du ihm gerne sagen?

Bitte, Michael, läute, bevor du bei uns reinkommst, es könnte ja sein, dass ich nicht ganz angezogen bin.

* Wie fühlt es sich an, wenn du ihm das  sagst?

Iss ganz okay für mich

* Die Wut ist weg?

Ja.

Dieses Beispiel zeigt deutlich: Wenn der Therapeut es dem Klienten nicht gestattet zu intellektualisieren, sondern vielmehr einen steten, sanften Druck in Richtung Fühlen und Spüren der Erfahrung ausübt, dann folgt Aufmerksamkeit des Klienten dem Kongruenzgefühl und bewegt sich schnell vom gegenwärtigen zum Kindheitsgefühl; so werden wir augenblicklich bereit für das Erfahren einer weiteren Etappe unserer Vergangenheit.

Wir wollen jetzt den Gehirnmechanismus noch genauer untersuchen, der diese plötzliche Zeitreise entlang den Kongruenzlinien zwischen einem Gegenwartsgefühl und einem entsprechenden Vergangenheitsgefühl ermöglicht.

GEGENMUSTER, UM DIE ABWEHRTRICKS DES GEHIRNS AUFZULÖSEN:

2. Der magische Zeitreise-Teppich

 (Zeitliche Kontext-Verschiebung): Eine Fehlerfreie Funktion des Gehirns

Nachdem wir unsere Spurensuche, unser DRANBLEIBEN und unsere Kongruenztechniken angewandt haben, kommt in jeder Tiefentherapie für uns irgendwann der Moment der großen Belohnung: Plötzlich und unerwartet werden wir in der Zeit zurückgeworfen, um eine frühe, prägende Erfahrung zu verstehen und / oder wiederzuerleben. Diese Zeitreise geschieht blitzschnell. Das Wiedererleben ist oft außerordentlich real, und das Verstehen, das so entsteht, ist umfassend. Unser Bewusstsein verwandelt sich tiefgreifend in einem einzigen, intensiven, lebenssteigernden Moment. Immer folgt diesem Erleben eine tiefe emotionale und körperliche Entspannung.

Diesen plötzlichen Wechsel von Zeit und Kontext zwischen zwei Ereignissen, die das gleiche Gefühl oder die gleiche Körperempfindung teilen, können wir als Zeitliche Kontext-Verschiebung oder, einfacher, als MAGISCHEN ZEITREISE-TEPPICH bezeichnen. Dieser magische Vorgang, der ganz plötzlich eintritt, funktioniert immer dann am besten, wenn er von selbst kommt. Das geht dann so: Wir finden ein Gefühl oder ein Unbehagen, begeben uns hinein, erlauben ihm, sich zu intensivieren, sich anzureichern und zu einem Höhepunkt zu kommen, und dann finden wir uns unter Umständen tief in der Vergangenheit wieder, und das, was vorher ein kleines, träges Stückchen Information war, wird plötzlich in unserem Erleben lebendig.

Immer dann, wenn Klienten in einem Gefühl feststecken, und dieses Gefühl sie nirgends hinbringt, ist für den Therapeuten die Versuchung groß, die Kontrolle über den MAGISCHEN ZEITREISE-TEPPICH erlangen zu wollen. Gelegentlich kann dies in der Therapie dadurch hilfreich sein, dass es das Ziel des therapeutischen Prozesses verstärkt. Versucht der Therapeut jedoch aktiv, eine ZEITLICHE KONTEXT-VERSCHIEBUNG zu arrangieren, dann muss der Klient dafür immer einen hohen Preis bezahlen. In diesem  Fall wird die ausgegrabene Erinnerung oder Verknüpfung immer verwässert. So wird die Intensität, und damit das Wachstumspotenzial, aus der Erfahrung herausgewaschen, und der Verlust, der dabei entsteht, entspricht genau dem Ausmaß an Anleitung und Verknüpfung, die der Therapeut herstellt.

- Ich hatte heute solch eine Wut auf meine Mutter, als sie den Kuchen, den ich gebacken hatte, kritisierte.

* Erinnere dich an deine frühe Beziehung zu deiner Mutter und schau, ob dein heutiges Wutgefühl den Gefühlen ähnelt, die du früher für sie hattest.

- Ja, ich erinnere mich: Immer dann, wenn sie mich kritisiert hat, hab ich mich so gefühlt.

In diesem Beispiel hat der Therapeut aktiv eine nicht aus der Erfahrung des Klienten stammende ZEITLICHE KONTEXT-VERSCHIEBUNG geschaffen, mit dem Resultat, dass das Potenzial an Kraft und Entwicklung dieser Erfahrung vertan wurde. Wir versuchen es noch mal:

- Ich hatte heute solch eine Wut auf meine Mutter, als sie den Kuchen, den ich gebacken hatte, kritisierte.

* Bleib bitte bei diesem Gefühl der Wut.

- Ich hasse sie.

* Wiederhole diesen Satz bitte ein paar Mal und bleibe in dem Gefühl.

- Ich hasse sie. ICH HASSE SIE. ... Genau so hat sie mich während meiner ganzen Kindheit behandelt.

* Bleib in dem Gefühl. Was willst du ihr aus dieser Kindheitserfahrung heraus sagen?

- Lass mich in Ruhe. (weint dabei) Lass mich doch einfach in Ruhe.

Hier hält der Therapeut den Druck aufrecht, widersteht aber der Versuchung, selbst eine Verknüpfung herzustellen. Immer dann, wenn wir Therapeuten versuchen, eine bewusste Kontrolle über die Prozesse unserer Klienten zu erlangen, verwässern wir einen Teil der Energie ihrer Reise. Therapeuten, die viel reden und erklären, nehmen dir immer deine Reise und deine Entwicklung weg.

Auch Therapeuten, die dich zu sehr unter Druck setzen ("pushen"), sei es emotional (etwa indem sie dich veranlassen, Gefühle früher zu fühlen, als du dazu bereit bist Anm. d. Ü.) oder körperlich (etwa durch die Aufforderung, mit dem Schläger zu arbeiten oder regelrecht mit ihnen zu kämpfen etc. Anm. d. Ü.), können dir deine Reise aus der Hand nehmen. Sie können dadurch neue und tiefere Abwehrformen schaffen. Vielleicht machst du als Klient danach zwar eine Menge Lärm und physischen Krawall, doch so  kommst du kaum zu einer wirklich tiefen Erfahrung von Einsicht und Befreiung. Wenn ein Therapeut dich in der Tiefentherapie zu etwas auffordert, bevor du offen dafür bist, schaltet das tiefe Gehirn automatisch auf Abwehr, während sich das falsche äußere Selbst brav den Anordnungen des Therapeuten fügt.

Erzwungene Manöver in der Therapie können dazu führen, dass du Wasser statt Suppe bekommst.

Gute Therapieerfahrungen haben die Qualität eines Blitzschlags. Unsere Aufgabe ist es, unsere Klienten in das Zentrum des emotionalen Sturms zu stellen. Aufgabe der Psyche des Klienten ist es, selbst den Blitzschlag einer vollen Holistischen Einsicht zu zünden.

- Ich war so traurig, als ich mich letzte Woche von meiner Freundin verabschiedete, die nach Europa fuhr. Ich konnte gar nicht glauben, wie tief das mich traf. Man hätte meinen können, sie läge im Sterben, oder sowas. Dabei geht sie nur für den Sommer fort.

* Deine Trauer kam dir zu groß vor?

- Ich hab sogar geschluchzt, als ich ihr ade sagte.

* Du bist jetzt am Flughafen, finde wenn möglich das Gefühl, gehe hinein und bleibe drin. Welcher einfache Satz, welches Wort, welcher Laut kommt dir dabei hoch und will raus?

- Ich will nicht, dass du gehst.

* Sag diesen Satz bitte, pass dabei gut auf, dass er deinem Gefühl genau entspricht, und wiederhole ihn mehrmals.

- Ich will nicht, dass du gehst ... Ich will nicht, dass du gehst ... Ich will nicht, dass du gehst (die Stimme des Klienten wird hoch, wie die eines kleinen Kindes )

* Bleibe dabei.

- Ich will nicht, dass du gehst ... Ich will nicht, dass du gehst ... Ich will nicht, dass du gehst ...  (der Klient fängt an zu schluchzen) ... Bitte geh nicht fort, Mama, bitte, geh nicht weg ... (lange Pause) Mama ist krank. Geht weg ins Samitorium'.

* Ins Samitorium'?

- Mama hat TD'. Ich werde sie ganz lange nicht sehen.

Um nochmals eine der zentralsten Anweisungen dieses Buches zu wiederholen: Es ist für die Aktivierung des MAGISCHEN ZEITREISE-TEPPICHS und das daraus entstehende HOLISTISCHE WIEDERERLEBEN äußerst wichtig, mit genug Intensität und ausreichend lange in einem Gefühl zu bleiben. Das ist der Grund dafür, dass eine gefühlsorientierte Therapie mächtiger ist als alle anderen Therapien.

Hier noch etwas äußerst Wichtiges: Bei extremer Traumatisierung kommt es vor, dass der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH den Klienten in einem vergangenen Erlebnis absetzt und ihn dann in die Gegenwart zurückbringt, ohne dass er sich daran erinnert, je eine solche Zeitreise gemacht zu haben. Ich selbst habe jahrelang regressionstherapeutisch gearbeitet, bevor mir das klar wurde.

Es ist eminent wichtig, dass Therapeuten dafür sorgen, dass die Klienten mit intakter Erinnerung in die Gegenwart zurückkehren. (Lies bitte dazu nochmals Kapitel 5, Beispiel 5, Körpernotwendigkeit und Kongruenz).

GEGENMUSTER, UM DIE ABWEHRTRICKS DES GEHIRNS ZU UNTERLAUFEN:

3. Zeitkiesel

(oder Umgekehrte Zeitliche Kontext-Verschiebung)

Der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH besitzt eine sehr wichtige Umkehrfunktion. Nicht nur transportiert er uns in der Zeit zurück, er kann auch die Vergangenheit in die Gegenwart holen. Diese extrem hilfreichen Geschenke aus der Vergangenheit sind aber zugleich eine der gängigsten Maskierungen der Psyche. Wenn der ZEITREISE-TEPPICH uns ein Geschenk aus der Vergangenheit bringt, verändert er dessen Kontext und verschleiert so zugleich sein eigenes Wirken.

Es handelt sich dabei um Sätze und Gefühle aus der Kindheit, die, wie schon gesagt, verstreut auf dem Strand der Gespräche Erwachsener liegen. Diese ZEITKIESEL bringen, unter dem Deckmantel aktueller Vorgänge, viel Energie in den Therapieraum. Wenn wir sie im Gegenwartskontext lesen und nicht merken, dass sie aus der Vergangenheit stammen, können sie uns völlig fehlleiten. In dem Moment, wo wir erkennen, dass es sich dabei um ein vergangenes Gefühl handelt, das an einen aktuellen Prozess geknüpft ist, haben wir einen wichtigen Schlüssel zum Unbewussten in der Hand. ZEITKIESEL (Umgekehrte Zeitliche Kontext-Verschiebung) kommen im aktuellen Therapieprozess in Form von Schlüsselwendungen vor, die einen großen Gefühlsgehalt und zugleich eine kindliche Einfachheit besitzen.

Eine Frau erzählt beispielsweise von einem Sommerurlaub aus ihrer Vergangenheit. Bei dem Versuch, dieses Ereignis aus der Vergangenheit wiederzuerleben, stößt sie auf großen Widerstand. Das Gespräch darüber hört sich etwa so an:

- Immer, wenn ich an unser Familien-Ferienhaus denke, krieg ich so ein komisches Gefühl.

* Spürst du im Moment etwas davon?

- Ja, doch.

* Dann lass dieses Gefühl zu und lass es intensiver werden.

Es kommt zu einer Pause, während die Klientin dem Gefühl erlaubt, sich zu entwickeln und anzureichern. Sie macht sich bereit, mit dem Gefühl zu verschmelzen. Dann sagt sie:

- Ich kann es nicht.

Da haben wir unseren ZEITKIESEL. Spüren wir das nicht, dann denken sowohl Therapeut wie Klientin, dass sie mit diesem Satz einfach meint, diese therapeutische Übung sei zu schwer für sie.

Falsch. Genau hier findet die KONTEXT-VERSCHIEBUNG statt. Dieser Satz fühlt sich so an, als sei er ein Widerstand in der Gegenwart. Hier nun, was passiert, wenn wir ihn einfach als Gefühl behandeln und ihn nicht in einen gegenwärtigen Kontext zwängen. Wir haben es dann mit einer ZEITKONTEXT-VERSCHIEBUNG zu tun, die uns zurück in die Kindheit der Klientin führt. Kehren wir zu dem vorhergehenden Dialog zurück:

* Stell dir euer Ferienhaus bildlich vor und lass das Gefühl hoch kommen.

(eine Pause, in der die Klientin das Gefühl sich entwickeln lässt und sich bereit macht, damit zu verschmelzen. )

- Ich kann es nicht.

* Lass dich bitte den Satz "ich kann es nicht"  fühlen,  und wiederhole ihn fünf- bis zehnmal.

- Warum soll ich weiter machen? Ich hab dir doch eben gesagt, dass ich diese Übung nicht machen kann.

* Wiederhole den Satz zehnmal.

- Ich kann es nicht. Ich kann es nicht. ( Ihr Körper ändert die Position ) Ich kann es nicht. Ich kann es nicht. (Ihre Augen weiten sich) Ich kann es nicht. ( Ihr Atmen wird schneller ) Ich kann es nicht. Ich kann es nicht. (Ihre Stimme wird zu der eines Kindes ... sie macht eine Pause und schaut mich an)

* Sieh mich nicht an. Bleibe bei dem Satz und bei dem, was sonst noch hoch kommt.

- Ich kann es nicht. Ich kann es nicht. Oh Gott, zwing micht nicht dazu! (sie beginnt, heftig zu weinen).

Der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH hat sie in ihr Ferienhaus zurück versetzt, als sie acht war, und, wie du erraten hast, erlebt sie eine Inzest-Szene.

Der Satz "Ich kann es nicht" war ein ZEITKIESEL, den das Unbewusste in die Gegenwart geschleust hat, um uns zu alarmieren und uns zugleich in die Irre zu führen.

Und wieder sehen wir hier, wie das Gehirn auf sein altes Dilemma reagiert: Es will nämlich den Ursprung seines Schmerzes zugleich kennen und nicht kennen. Wie gewöhnlich bemüht es sich auch hier nach Kräften, uns einen Hinweis zu geben, während es gleichzeitig genau diesen Hinweis verschleiert.

Der Widerstand der Klientin dagegen, dieses unangenehme Ereignis mit ihrem Onkel wiederzuerleben, war kongruent genug zu ihrem Widerstand gegen die therapeutische Arbeit, sodass der Satz " ich kann es nicht" sich vom ursprünglichen Erlebnis löste und durch die Zeit in die Gegenwart schlüpfte. Auf diese Weise wechselte der Satz den Kontext und tauchte in der Gegenwart als ZEITKIESEL auf. Diese UMGEKEHRTE ZEITLICHE KONTEXT-VERSCHIEBUNG, bei der eine vergangene Bedeutung in einen gegenwärtigen Kontext zu passen scheint, ist einer der subtilsten Abwehrmechanismen der Psyche in ihrem verzweifelten Bestreben, das Wiedererleben eines Ereignisses aus der Vergangenheit zu verhindern.

Beobachte nun, was in der Therapie passiert, falls man einen ZEITKIESEL nicht erkennt, wenn er in der Gegenwart auftaucht.

- Ich kann es nicht.. (Zeitkiesel)

* Entspanne dich einfach ein wenig. (Missverständnis bezüglich des Kontextes)

- Ich kann's einfach nicht. (Zeitkiesel)

* Fällt es dir schwer, mir zu vertrauen? (Erneutes Missverständnis des Therapeuten)

- Ich kann einfach niemandem vertrauen. (Kontaminierung der therapeutischen Arbeit, da die Klientin auf den falsch verstandenen Kontext reagiert)

* Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, hier bist du sicher. ( Der Therapeuten hält am falsch verstandenen Kontext fest)

- Ich weiß, dass ich hier sicher bin. (Die Klientin lügt auf Grund des verdeckten inzestuösen Treuebruchs)

* Nun, vielleicht sollten wir heute mit etwas anderem weiterarbeiten. (Klientin und Therapeut gehen hier total in die Irre und haben sich vom Hinweis auf eine frühere Bedeutung im ursprünglichen Satz "ich kann es nicht" völlig entfernt.)

Unbewusste Abwehrmechanismen haben die Schlacht gewonnen: Der frühe Schmerz bleibt weiter verborgen.

Wichtig ist hier, festzuhalten, dass der Satz "ich kann es nicht" eine gefühlsbezogene Aussage ist. Wenn wir einen Widerstand als Gefühl behandeln, beginnen wir zu verstehen, ohne es allerdings im Voraus zu wissen, dass viele derartige Sätze Ausdrucksformen früher Gefühle sind, die in Zeit und Kontext verschoben wurden, und die ich ZEITKIESEL nenne. Vertraue dem Gefühl innerhalb des Widerstands, gehe mit ihm und lass es nicht verschwinden dann wirst du sehr oft entdecken, dass dein Unbewusstes dir einen ZEITKIESEL geschickt hat, der dann die Kontext-Verschiebung des MAGISCHEN ZEITREISE-TEPPICHS aktivieren und dich in die tiefe Vergangenheit führen kann.

Ein Mann spricht über seinen Chef:

- Er hasst mich (Zeitkiesel)

* Kann es sein, dass du vielleicht etwas auf ihn projizierst? (der Therapeut schwelgt in seiner intellektuellen Analyse) 

- Nein, er hasst mich (Zeitkiesel)

* Hast du dafür irgendwelche konkreten Anhaltspunkte? (falsch verstandener zeitlicher Kontext; der Therapeut geht in die Irre).

Es geht hier nicht nur darum, dass der Therapeut den Satz "er hasst mich" missversteht und nicht merkt, dass es ein ZEITKIESEL ist; hinzu kommt noch, dass er seinen Klienten ständig weg von seinen Gefühlen und in eine intellektuelle Sackgasse der Stufe Eins treibt.

Der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH kann aktiviert werden, wenn wir das Gefühl finden, das in der Aussage "er hasst mich" verborgen liegt. Dieses Gefühl, das eine Kongruenz von Vergangenheit und Gegenwart darstellt, verknüpft so den vergangenen und den jetzigen Satz, und es kommt zu einer plötzlichen ZEITLICHEN KONTEXT-VERSCHIEBUNG, die ihrerseits in eine HOLISTISCHE EINSICHT mündet.

Sehen wir uns noch kurz den völlig anderen Verlauf der Therapie dieses Klienten an, wenn der Therapeut den Satz "er hasst mich" als ZEITKIESEL erkennt, als einen Satz, der für den Klienten sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart bedeutsam ist.

 - Er hasst mich. (Zeitkiesel)

* Bleibe in dem Gefühl und (Suche nach einem möglichen Zeitkiesel) lass es anwachsen, während du dabei den Satz wiederholst.

- Er hasst mich. Er hasst mich. (Magischer Zeitreise-Teppich aktiviert). Er hasst mich ... . Es ist mein Bruder. (gelungene Kontext-Verschiebung in die tiefe Vergangenheit) Ständig hat er auf mir rumgehackt.

Jedes Mal, wenn ein einfacher Satz, wie ihn ein Kind verwenden könnte, in die Erwachsenen-Unterhaltung hinein rutscht (besonders dann, wenn er von einem Gefühl begleitet wird, das für die aktuelle Situation zu heftig ist), ist es gut möglich, dass wir es hier mit einem zeitversetzten Satz zu tun haben. Verschmilz mit ihm, wiederhole ihn und mache dich bereit, zurück an seinen Ursprung zu reisen.

GEGENMUSTER, UM DIE ABWEHRTRICKS DES GEHIRNS AUFZULÖSEN

4. Holistische Einsicht ( eine Fehlerfreie Funktion des Gehirns )

HOLISTISCHE EINSICHT hat Abstufungen hinsichtlich Qualität und Ausdehnung, die in sechs Stufen eingeteilt werden können:

Holistische Einsicht: Stufe Eins

Holistische Einsicht der Stufe Eins beginnt mit dem Erleben von Innerlichkeit, die dann kommt, wenn wir uns hinlegen und uns auf die innere Arena unseres Lebens fokussieren.

Wir beginnen, den Grund unseres Daseins zu spüren, den Ort, an dem wir die bisher abgewehrten Teile unseres tiefsten Selbst untersuchen werden, um dann mit ihnen zu verschmelzen.

Wenn wir die Hand ins Wasser strecken, spüren wir direkt, was Wasser ist: Genau so gelangen wir nun allmählich zu einer nicht-verbalen, nicht-intellektuellen Wahrnehmung unserer inneren Umgebung.

So beginnt ein langer und köstlicher Prozess der Erleichterung, der darin besteht, ein gequältes Oberflächen-Selbst für das Studium unserer tieferen Prozesse aufzugeben.

Diese Erleichterung wird noch dadurch gesteigert, dass wir es unserem bewussten Selbst erlauben, voll die sechs Wege zu fühlen, auf denen das Gehirn uns seinen Schmerz übermittelt (spezifische Körperempfindungen usw.).

Und es kommt noch zu einer weiteren Steigerung unserer Erleichterung, wenn wir unseren kongruenten Ausdruck ganz mit diesen tieferen Erfahrungen zum Verschmelzen bringen.

Genau hier fängt die Holistische Einsicht an: Wir fühlen jetzt, wie das tiefere Selbst und das Oberflächen-Selbst sich erstmals aneinander ausrichten. Jetzt beginnt der frische Wind der Aufrichtigkeit, den verlagerten und verschleierten, fruchtlosen Kampf unseres Lebens zu neutralisieren.

Holistische Einsicht auf Stufe eins ist also die unmittelbare, nicht-lineare und nicht symbolisch vermittelte Erfahrung von Innerlichkeit. Sie ist eine Neuausrichtung zwischen den unbewussten und den bewussten Anteilen unseres Seins, durch den Gebrauch der Techniken von Kongruenz und Externalisierung.

Auf dieser Stufe sind keine spezifischen Einsichten erforderlich, keine Worte, keine Bilder und kein Wiedererleben. Allerdings spüren wir tief in uns und immer stärker, dass etwas in uns sich entspannt und ganz wird.

Weil es bei all diesen Prozessen auf Stufe eins zu keiner spezifischen Einsicht kommt. und sie doch unsere unspezifische Wahrnehmung vertiefen, können wir sie auch als STRUKTURELLE SELBSTERWEITERUNG bezeichnen.

Holistische Einsicht: Stufe Zwei

Holistische Einsicht der Stufe Zwei ist dadurch gekennzeichnet, dass ein spezifisches Thema und ein Teil der damit verbundenen Bedeutung in unser Bewusstsein tritt.

Wir haben uns nach innen auf ein Unbehagen fokussiert. Wir erlauben diesem, unser Bewusstsein auszufüllen. Wir verschmelzen mit ihm und haben vielleicht schon begonnen, unsere Kongruenzen zu machen, vielleicht auch noch nicht. Plötzlich entdecken wir etwas Neues über uns und unsere Welt. Wir werden uns einer Wahrheit, die unser Dasein betrifft, voll bewusst.

Beispielsweise fühlen wir uns nach einem Streit mit jemandem sehr unwohl und spüren eine Enge in der Brust. Wir legen uns hin, fokussieren uns auf diese Enge, verschmelzen mit ihr, und plötzlich hören wir uns sagen: "Bitte, tu mir nicht weh. Wir wiederholen diese Kongruenz fünf- bis zehnmal, wobei wir aufpassen, dass die Worte dem Gefühl genau entsprechen. Plötzlich kommen wir zu der Einsicht, dass wir sehr tief verletzt worden sind, und zwar viel tiefer, als wir geglaubt hatten. Wir spüren, dass unsere ganze Körper-Psyche-Achse in ihren Grundfesten irgendwie erschüttert worden ist.

Dies ist eine Erkenntnis, die deutlich Form und Einsicht hat. Allerdings ist sie auf die Gegenwart und auf das beschriebene Ereignis begrenzt. Genau dies kennzeichnet die HOLISTISCHE EINSICHT der Stufe Zwei. Sie ist nicht-linear und kommt plötzlich - in einer kleinen Wellenfront von Bewusstheit. Und es ist dieses unmittelbare, aus dem Bauch kommende, nicht-verbale, nicht-lineare Wissen, das diese Erfahrung zu einer Holistischen Erfahrung macht.

Die Erfahrung ist ganzheitlich, weil unsere Selbsterkenntnis und unser Gespür für unser Leben sich mit dieser Erfahrung augenblicklich erweitern. Wir spüren es geistig als Klarheit und körperlich als Entspannung beides ist simultan und unmittelbar. Diese tiefe Erfahrung beschäftigt uns, denn wir spüren, dass wir durch sie plötzlich mehr sind, als wir bis dahin waren. Die Qualität unseres Wissens strahlt in viele Richtungen hin aus. Beispielsweise erkennen wir, dass da etwas in uns ist, das wirklich weh tut, und dass wir wirklich verletzlich sind. Das falsche Gefühl von Stärke verwandelt sich in das Gefühl, dass wir immer verletzlich sind. Aber gleichzeitig wissen wir, und zwar auf Grund unserer neu erworbenen Fähigkeit, dass wir auch wieder heil werden können. Wir brauchen nicht rigide und immer nur auf unsere Sicherheit bedacht zu sein. Wir können offener leben - ohne deshalb zerstört zu werden. Dies ist ein Beispiel für die Art von Bewusstseinserweiterung, wie sie eine typische HOLISTISCHE EINSICHT begleitet.

HOLISTISCHE EINSICHT der Stufe Zwei ist also eine plötzliche, nicht-lineare Erweiterung unseres gegenwärtigen Bewusstseins, die auf ein einziges Thema beschränkt ist, und zugleich ist diese Einsicht eine rein innere Erfahrung der Person, die sie hat. Sie wird geistig als Einsicht und körperlich als Entspannung erfahren.

Holistische Einsicht: Stufe Drei

Die dritte Stufe der HOLISTISCHER EINSICHT ist ein plötzliches, nicht-lineares Bewusstsein, das sich lateral in der Gegenwart ausbreitet und Selbst und Welt einschließt. So kann eine Gefühlssequenz auf der Matte von einem Streit mit dem Chef ausgehen und  uns zu der Erkenntnis führen, dass nicht nur wir zutiefst verletzt wurden (Holistische Einsicht der Stufe Zwei), sondern dass auch der Chef ein zutiefst verletzter und deswegen verletzender Mensch ist. Wir verstehen dann, wie sein Verletztsein die Welt um ihn herum durchtränkt und bei den Menschen, die mit ihm zu tun haben, Schmerz auslöst. Uns wird dadurch bewusst, dass viele Menschen in Führungspositionen so sind, und wir spüren Dinge, die zu einer negativen Autorität gehören, wir verstehen, wie es dazu kommt, und wie sie uns alle verletzt.

Die dritte Stufe Holistischer Einsicht erhöht also mit einem Schlag unser Verständnis: So verstehen wir nicht nur uns selbst besser, sondern unsere Einsicht breitet sich nach außen aus und erfasst die Welt um uns herum mitsamt ihrer Dynamik. Allerdings beschränkt sich unsere Bewusstheit auf die Gegenwart.

Holistische Einsicht: Stufe Vier

Auf dieser Stufe weitet sich unsere Erkenntnis nicht nur lateral (in der Gegenwart), sondern auch zurück in der Zeit aus. Plötzlich sehen wir wie von einem Blitz erleuchtet Teile unseres früheren Lebens und erkennen, wie unsere augenblicklichen Schwierigkeiten mit ihnen zusammenhängen. Uns wird klar, dass alte Schmerzen  in uns aktiviert wurden. Und wieder ist es eine Woge von Verstehen, die plötzlich über uns hereinbricht. Es handelt sich dabei jedoch nicht um das tatsächliche Wiedererleben eines vergangenen Ereignisses, wenn wir uns auch im Augenblick der Wahrnehmung in Körper und Psyche erleichtert fühlen.

Holistische Einsicht: Stufe Fünf

Auf dieser Stufe wird der MAGISCHE ZEITREISE-TEPPICH (die Zeitliche Kontext-Verschiebung) aktiviert. Wir befinden uns in einem Kindheitserlebnis, das Bewusstsein für die Gegenwart tritt zurück, und wir erleben das Geschehen erneut, mit der Vollständigkeit und Intensität einer realen Halluzination. In unserer Psyche öffnen sich Verknüpfungspfade, die von dem vergangenen Ereignis zu vielen bedeutsamen Erlebnissen durch unser ganzes Leben führen. Wie durch eine plötzliche Erleuchtung erkennen wir die vielfältigen Ursachen unserer Existenz, wie sie durch wichtige Ereignisse im Laufe unsere Lebens bestimmt wurde.

Wenn die Barrieren innerhalb der Psyche fallen, ist das eine sonderbare und wundersame Erfahrung, die eine bis drei Sekunden zu dauern scheint. Die Nachwirkung ist ein sehr tiefes Wissen auf psychobiologischer Ebene, das den Körper auf Dauer tief entspannt und verändert zurücklässt, insbesondere in seinen Abwehrstrukturen. Für die Psyche werden Offenheit und Verletzbarkeit zu einem Bestandteil ihres tiefen organischen Funktionierens, dem sie voll vertraut. Der Klient lernt, sich selbst und anderen zu vergeben, weil seine organische Mitte entwirrt ist. Eine nicht urteilende, zutiefst ethische Haltung ersetzt allmählich ein Leben, das bisher durch von außen gesetzte Regeln und Zwänge bestimmt war. Das Gehirn beginnt, auf eigenen Füßen zu stehen, es braucht niemanden und keine Institution, um ihm Lehrmeister zu sein oder ihm seine Sünden zu vergeben. Ein Gespür für die tiefe Komplexität und den Wert des Lebens führt automatisch zu Mitgefühl und ethischem Verhalten.

Holistische Einsicht der Stufe Fünf ist die letzte Stufe Holistischen Bewusstseins vor der großen Erfahrung der Plötzlichen Erleuchtung (des Satori), die ja das Ziel des Zen ist. Holistische Einsicht der Stufe Fünf teilt viele der Charakteristika und Qualitäten des Satori. Sie kommt plötzlich, ist tief, bringt enormes Verstehen mit sich und führt zu einer herrlichen Entspannung von Köper und Seele. Dennoch ist dies noch nicht das eigentliche Satori. Holistische Einsicht der Stufe Fünf ist auf die psychobiologische Ebene begrenzt und beschränkt sich auf Verknüpfungen und Vorgänge weltlicher Natur. Mit anderen Worten, sie ist nicht metaphysisch.

 Holistische Einsicht: Stufe Sechs ( Plötzliche Erleuchtung oder 'Satori')

Weil ich glaube, dass die Mechanismen bei der Psychobiologischen Holistischen Einsicht und diejenigen beim wirklichen Zen-orientierten Satori auf ähnlichen Prozessen beruhen, will ich hier einige kurze Bemerkungen zu dieser höchsten Art der Erfahrung machen.

Das Satori, wie ich es studiert und erlebt habe, ist das plötzliche und tiefe Erwachen einer völlig anderen Art von Bewusstsein.

Psychobiologisches Erwachen ( Holistische Einsicht ) befasst sich mit dem Aufbrechen der einzelnen bisher abgegrenzten Bereiche der inneren Erfahrung. Es wird erreicht durch sorgfältige und genaue Achtsamkeit gegenüber inneren Körperzuständen sowie durch das Herstellen der schon beschriebenen Kongruenzen. Dabei handelt es sich um Mechanismen von Psyche und Körper (Erkundung auf psychobiologische Ebene), und entsprechend führt die Arbeit in diesem Bereich zu Bewusstseinsbildung auf dieser Stufe.

Satori dagegen ist ein noch viel tiefer gehender Versuch, die Zerstückelung des Geistes aufzubrechen. Es ist ein Versuch, die primäre Grundlage des Symbolisierens aufzubrechen, auf welcher der Blick des Geistes auf alle Dinge beruht. Hier geht es um eine viel allgemeinere, faktisch um eine unendliche Erkundung, welche die Struktur des Geistes, die Struktur der Materie und die Beziehung zwischen beiden umfasst. Und sie schließt auch den Urgrund des Universums mit ein.

Durch einen einzigen blendenden Blitzstrahl überwindet das Satori alle symbolischen Schranken zwischen Verstehen und Materie und stellt damit unsere bisherige Wahrnehmung aller Dinge in Frage.

Genau deswegen ist das Zen-Koan (ein spirituelles Rätsel) so zutiefst rätselhaft. Die Lösung eines Zen- Koans (beispielsweise: Was für ein Geräusch macht eine einzelne Hand, die klatscht?) bringt die konkreten Symbolisierungsfunktionen des Geistes zum Einstürzen, bis wir und das Universum schließlich eins sind. Ein Zen-Mönch braucht Jahre, manchmal Jahrzehnte, konzentrierten Meditierens, um die endgültige Auflösung dieser ureigenen Gehirnfunktionen zu erreichen.

Außerordentlich interessant ist es festzustellen, dass die Kultivierung von dem, was wir die Reinheit der Absicht bei der Annäherung an Holistische Einsicht nennen wollen, der Reinheit der Absicht bei der Annäherung an das Satori sehr ähnlich ist. Beide erfordern den gleichen paradoxen Prozess von Zielgerichtetheit und Loslassen, sie erfordern außerordentliche Demut, Geduld, Erwartungslosigkeit und absolute Konzentration.

Auf psychobiologischer Ebene ist Schmerz die treibende Kraft. Die Methode besteht darin, zwischen genwärtiger und vergangener Erfahrung mittels kongruenter Gefühle eine Verbindung herzustellen. Das extrem hohe Kongruenzniveau zwischen einem aktuellen und einem  frühen Gefühl aktiviert den psychobiologisch unbeschädigten Prozess nicht-linearer Holistischer Einsicht. Holistische Einsicht ist die plötzliche, überwältigende Bewusstseinserweiterung im psychobiologischen Erfahrungsfeld.

Die treibende Kraft, die zu der Satori-Erfahrung führt, ist eine tiefe existenzielle Unzufriedenheit, die gekoppelt ist mit außerordentlich intensiven Meditationstechniken über lange Zeit und unter Verwendung von Rätseln, die auf der Ebene der Symbolisierungsprozesse des Geistes keine Lösung haben.

Das Gemeinsame an beiden Vorgängen ist eine plötzliche tiefe Bewusstseinserweiterung. Holistische Einsicht ist aber immer noch eingeschränkt auf ihren psychologischen und biologischen Erfahrungsbereich. Satori sprengt alle Schranken des Bewusstseins. Es ist wohl die tiefste und vollständigste Bewusstseinsleistung, die unserem auf biochemischen Grundlagen beruhenden Bewusstsein möglich ist.

Im nächsten Kapitel werden wir noch deutlich tiefer auf die Haltung eingehen, die für die Kultivierung von Wachstum nötig ist.


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