KAPITEL 13

Was macht das Gehirn, wenn es im Schmerz ist

In der Psyche ist nichts so einfach, wie es scheint.

Und dennoch ist es auch wahr,
dass die Dinge oft viel einfacher sind,
als uns die Psychiatrie einreden will.

Um zu verstehen, was wir tun müssen, wenn wir mit den tiefsten Tiefen der Psyche arbeiten, müssen wir zuerst auf eine einfache Art begreifen, was die Psyche macht, wenn sie leidet. Dazu brauchen wir keine komplexen, physiologischen Informationen, sondern nur ein einfaches und klares Gespür für das, was da vor sich geht.

Ausdruck und Heilung von psychologischem Schmerz hängen von den folgenden Wahrheiten unserer Gehirnfunktionen ab:

1. Das Gehirn hasst Schmerz.

2. Das Gehirn hasst es, genau zu wissen, wie es zu seinem Schmerz gekommen ist.

3. Wird das Gehirn entweder mit Schmerz oder mit dem Wissen, wie es zu diesem Schmerz kam, konfrontiert, dann versucht es, das vollständig zu vergraben, indem es sowohl den Schmerz als auch das damit verbundene Wissen verdrängt, und zwar weit weg vom Bewusstsein in der Tiefe der Psyche. Wenn das Gehirn sich dann im späteren Leben unwohl fühlt, jedoch nicht genau wissen will, warum, so bemüht es sich, das Problem auf eine verdeckte und unfruchtbare Weise zu lösen. Dazu ordnet es Vergangenheit und Gegenwart um und verändert die Bedeutung von allem, was in ihm und außerhalb von ihm geschieht, um sich sicher zu fühlen und zu versuchen, seine Probleme irgendwie zu lösen.

 
Ich wurde von Dr. Aletha Solter darauf aufmerksam gemacht, dass Babys und Kleinkinder ihre Schmerzen nicht vermeiden, wenn man ihnen erlaubt, ihre Gefühle zu fühlen. Bitte schaut euch sowohl ihr Buch "Auch kleine Kinder haben großen Kummer" (erschienen im Kösel-Verlag, 2000- Anm. d. Ü.) als auch ihre Homepage: Aware Parenting Institute (http://www.awareparenting.com/) an.


4. Das Gehirn ist schmerzunempfindlich. Es kann nicht direkt fühlen. Wenn man es während einer Operation frei gelegt hat, kann man hineinschneiden oder es verbrennen - es fühlt nichts dabei. Wenn deshalb das Gehirn in Schwierigkeiten ist, bemüht es sich zwar, uns zu warnen, doch es kann das nur indirekt tun.

Auf dem Hintergrund der eben erwähnten Einschränkungen seiner Funktionen gelangt das Gehirn zu folgenden Lösungen:

Wie ein Filmprojektor nimmt die Psyche das, was innen in ihr passiert und projiziert es nach außen, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass etwas nicht stimmt. Da sie in einem vollkommen stillen Raum lebt, muss die Psyche einen Weg finden, um unsere Aufmerksamkeit zu wecken. Die Signale, die sie sendet, müssen für unsere Sinne wahrnehmbar werden, sonst würden wir nichts davon merken.

So könnte ein schiffbrüchiger Seemann eine Flaschenpost ins Meer werfen, doch wir können seine Not nur dann wahrnehmen, wenn wir diese Flasche am Strand entdecken. Ein Mann, der sich nachts auf einer Autobahn verirrt hat, müsste erst einmal ein Telefon finden, bevor wir seine Not hören können. In jedem Beispiel dieser Art merken wir die Not erst, wenn sie  unsere Sinne erreicht.

Das Gehirn funktioniert genauso. Es sendet uns durch unsere Sinne und Gefühle Botschaften, welche unsere Aufmerksamkeit erregen. Zum Beispiel werden wir uns unserer Angst vielleicht erst bewusst, wenn unser Herz zu rasen beginnt, oder wenn wir "Schmetterlinge im Bauch" spüren. Die Flasche ist am Strand unseres Bewusstseins angekommen, das Telefon hat geklingelt.

Um die Sache noch komplizierter zu machen, sind die Empfindungen, die uns tief aus unserem Inneren erreichen, unspezifisch. Wenn wir uns in den Finger stechen, dann können wir den Ort der Störung lokalisieren, und wir wissen meist sogar genau, was die Störung verursacht hat, und zwar deshalb, weil die externen Sinne ein hohes Unterscheidungsvermögen haben. Sie wissen meist ganz genau, was vor sich geht.

Die Sinnesorgane tief in unserem Körper haben kein hohes Unterscheidungsvermögen. Botschaften aus dem Inneren unseres Körpers sind oft extrem diffus. So hatten die meisten von uns irgendwann im Leben schon einmal Bauchschmerzen, doch wir konnten nicht sagen, wo genau die Schmerzen waren.

Ein Gehirn, das nicht genau wissen will, warum es Schmerzen hat, und das unfähig ist, direkt in sich hinein zu fühlen, muss nun seinen Schmerz nach außen verlagern, um ihn dann an unser Bewusstsein zurückzumelden, wobei es sehr diffuse und unspezifische Botschaften übermittelt.

Unsere ganze Reise in diesem Handbuch besteht darin, Techniken zu finden, welche diese verwirrenden Botschaften transparent machen. Jetzt verstehst du auch, warum wir dabei immer mit sensorischen Phänomenen beginnen. Unsere Reise nach innen fängt immer mit dem an, was wir in unserem Körper spüren und fühlen.

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