ANHANG

Bilder, Bildersequenzen und Träume

Für Menschen, die mit den modernen Techniken der Traumdeutung nicht vertraut sind, biete ich hier eine äußerst kurze Einführung in die Enträtselung der Bedeutung hinter diesen scheinbar bizarren Mitteilungen. Wir wollen die Träume von ihrer Verkleidung befreien.

Die Grundregel im Reich der Vorstellung besagt, dass Bilder immer für etwas stehen, das in uns aktiv ist. Ich habe bereits gesagt, dass das Gehirn den Schmerz ebenso wie das Wissen, wie dieser Schmerz zustande kam, verabscheut. Wir haben gesehen, wie das Gehirn seinen Schmerz nach außen schickt, um uns mittels der sechs Mechanismen, über die wir weiter oben gesprochen haben (spezifische Körperempfindungen, etc.), etwas mitzuteilen.

Wenn das Gehirn den Wunsch hat, innerhalb seiner selbst aktiv zu werden, um seinen Schmerz zu enträtseln und auszudrücken, so benutzt es die Bilder dabei so, dass es das bewusste Wissen seiner eigenen Verletzungen vermeidet. Auf diese Weise bleibt es seinem Kampf treu, sein Material zu verarbeiten, ohne dabei unser Bewusstsein wissen zu lassen, wie verletzt wir sind, oder woher die Verletzung kommt. So geben uns Bilder und Träume Informationen in versetzter und symbolisch verkleideter Form. Freud lehrte uns vor hundert Jahren, dass die normale Zensur der Psyche sich in unseren Traumerfahrungen lockert, sodass sie nicht logisch sein müssen. Wir können von einem Gebäude herabspringen. Wir können unter Wasser auf einem Fahrrad fahren. Wir brauchen die Alltagslogik und die Alltagsnotwendigkeiten nicht länger zu befolgen. So können Bilder und Träume ohne Rücksicht auf die Alltagsrealität fließen und völlig unsinnig erscheinen. Doch in diesem Handbuch haben wir uns bereits mit dem Nonsens der Symptome vertraut gemacht. Wie wir schon gesehen haben, scheinen sie zwar, oberflächlich betrachtet, unlogisch, aber sie gehorchen immer der tiefen, inneren Notwendigkeit, einen psychologischen Prozess abzuschlieβen (eine Gestalt zu bilden). Wenn wir, genau wie den Symptomen, Bildern und Träumen mit einigen wenigen einfachen Werkzeugen nachgehen, werden die darunter liegenden Prozesse immer frei gelegt.

Wir wollen nun Bilder, Bildabläufe und Träume studieren, indem wir ein Beispiel konstruieren und uns dann anschauen, wie es von Grund auf aufgebaut wird. Das wird uns später erlauben, mit dem, was wir an der Oberfläche sehen, anzufangen und uns dann den ganzen Weg  hinunter zu dem durchzuarbeiten, was darum kämpft, sich Gehör zu verschaffen.

Nimm dir ein Thema vor, das dich belastet und verwandle es in eine Metapher.

Nehmen wir zum Beispiel einmal an, deine ältere Schwester kritisiert dich ständig und verletzt dich damit immer wieder. Wir könnten dieses Grundproblem in eine Metapher verwandeln, indem wir Bilder benutzen, die deinen Kampf darstellen. Zum Beispiel könntest du einen Traum haben, in welchem du ein Kind bist, welches im Sand direkt am Meer sitzt. Du errichtest wunderbare Sandburgen, doch leider liegen diese zu nah an den stürmischen Wellen. Jedes Mal, wenn du deine Burg errichtet hast, kommt eine Welle und spült sie weg, und alles, was du aufgebaut hast, war umsonst.

Das Meer ist deine Schwester und zerstört unaufhörlich, unbarmherzig und unerbittlich alles, was du tust. Genauso, wie ihre Kritik deine Bemühungen in der realen Welt zerstört, so zerstört auch das Meer deine Bemühungen in der Traumwelt.

Angenommen, du verstehst nichts von alledem, du hast einen solchen Traum und gehst damit zu deinem Therapeuten. Wie hilft dir nun dein Therapeut dabei, von dem Traum, den du in dir siehst (manifester Trauminhalt) zu dem darunter liegenden Thema, mit dem sich dein Gehirn in verkleideter Form herumschlägt (latenter Trauminhalt), zu gelangen? Es gibt verschiedene gebräuchliche Methoden, welche uns von der Oberfläche des Traums in die Tiefen des Problems führen.

DEUTUNG EINER BILD- UND TRAUMSEQUENZ

Erste Methode: Die Methode der Gestalttherapie nach Fritz Perls

Fritz Perls sagte uns, der Traum sei ein Stück auf einer Bühne, und wir sollten zu jedem Bild werden, ob belebt oder unbelebt, und diesem Bild eine Stimme geben. Wir sollen in jedes Symbol eindringen und die Wahrheit dieses Symbols aussprechen. Um den oben erwähnten Traum zu enträtseln, könnte der Klient so zu dem kleinen Mädchen werden und dann den Traum des kleinen Mädchens in der Ich-Form erzählen (im Präsens und mit dem Personalpronomen).

- Ich bin ein kleines Mädchen, und alles, was ich baue, wird zerstört. Wie sehr ich mich auch bemühe, nichts entkommt der Zerstörung durch das Meer.

- Ich bin das Meer. Ich werde alles zerstören, was du baust, ganz egal, wie viel Mühe du dir auch gibst.

- Ich bin die Sandburg. Ich werde zerstört.

Perls ging einen Schritt weiter und schlug vor, Dialoge zwischen den Traumsymbolen zu entwerfen. Zum Beispiel könnte das Meer zu dem kleinen Mädchen sprechen.

- Ich bin das Meer. Ich hasse dich, du kleines Mädchen. Ich bin groß und mächtig und werde dich zerstören.

- Ich bin das kleine Mädchen und hasse dich für das, was du mir antust.

An diesem Punkt würde die Klientin gewöhnlich die Verbindungen herstellen, die für sie von Bedeutung sind. Wenn nicht, so könnte sich der Therapeut erkundigen, ob dieser Traum in metaphorischer Form ihre aktuelle oder vergangene Lebenssituation auch tatsächlich richtig darstellt oder dafür steht. Hätte die Klientin die Verbindung bis dahin noch nicht hergestellt, so würde sie jetzt wahrscheinlich zu der Einsicht kommen, dass das Meer tatsächlich ihre Schwester ist, die versucht hat, alles, was sie in ihrem Leben aufgebaut hat, zu zerstören. So ist der Traum eine Darstellung ihrer Existenz in der Gegenwart oder der Vergangenheit. In diesem Sinn ist der Traum eine existenzielle Aussage und erlaubt es dem Gehirn, eine schmerzvolle oder konflikthafte Lebenssituation auszudrücken, ohne wissen zu müssen oder direkt zu fühlen, was nicht in Ordnung ist. Der Abscheu des Gehirns vor dem Schmerz und den Prozessen, welche ihn verursachen, führt einerseits zur Vermeidung des direkten Verstehens und erlaubt andererseits den Versuch, den Konflikt zu verarbeiten.

DEUTUNG EINER BILD- UND TRAUMSEQUENZ

Zweite Methode: Der intuitive Sprung

- Ich träumte, wie meine Sandburgen vom Meer zerstört wurden.

* Erinnert das dich an etwas?

- Ja, meine Schwester versucht ständig, mich mit ihrer Kritik zu zerstören.


DEUTUNG EINER BILD- UND TRAUMSEQUENZ

Dritte Methode: Der gefühlsorientierte Ansatz (Therapie der Stufe Vier)

Bilder und Träume ergeben, falls man sich jeweils auf nur ein Bild fokussiert, so gut wie immer ein Gefühl. Manchmal ist es eine Bildersequenz, welche ein Gefühl mit sich bringt, manchmal ist es ein ganzer Traum, und manchmal sind es auch mehrere Gefühle.

Wenn wir die Bilder und die Bildersequenzen behandeln wie irgendein anderes Symptom, das wir studiert haben, d.h. uns auf sie einlassen und eins mit ihnen werden, so kommen wir sehr schnell zu den Grundmethoden zurück, die wir in diesem Handbuch behandelt haben. Tatsächlich greifen wir auf die Methode des DABEIBLEIBENS zurück, die ja einer unserer Tricks ist, um die Tricks des Gehirns zu neutralisieren. Wir halten uns auch an die Regel, gemäß der wir die realen Gefühle und Empfindungen finden müssen, welche, offen oder versteckt, mit den sechs Haupt-Alarmsystemen des Körpers verbunden sind. Erinnere dich daran, wir tun das, weil wir die Gegenwart der realen Gefühle brauchen, um den Kompass unseres Bewusstseins auszurichten, und wir brauchen die nötige Intensität, um das defensive Netz zu durchdringen.

Wir sollten auch noch etwas anderes beachten: Da Gefühle einfach und mächtig sind, schneiden sie durch unsere intellektuellen und symbolisierenden Abwehrmechanismen hindurch wie ein heißes Messer durch die Butter; dabei suchen sie immer nach dem Grundthema, nach dem Schmerz ausstrahlenden Ereignis, welches zu dem eleganten, komplexen und intellektuellen Überbau geführt hat. Das Gefühl, welches jedem Symptom zu Grunde liegt, zieht unsere Aufmerksamkeit unfehlbar auf sich, und zwar unabhängig davon, wie verworren, vielschichtig oder symbolisch die Symptomschichten auch sein mögen.

Zusätzlich dazu erlauben uns die Gefühle, die Kongruenzen zu schaffen, welche ihrerseits diese Gefühle wiederum intensivieren, mit denen wir zu verschmelzen versuchen. So haben Gefühle eine vierfache Bedeutung auf der therapeutischen Reise. Kein Wunder, dass sich gefühlsorientierte Therapeuten so sehr dem Fühlen der Gefühle widmen.

Wir wollen nun unseren Traum enträtseln, indem wir den gefühlsorientierten Ansatz der Therapie der Stufe Vier benutzen:

- Ich träumte, ich sei ein kleines Mädchen, welches am Meer sitzt und Burgen baut. Jedes Mal, wenn ich eine Sandburg errichtet hatte, spülte das Meer sie weg.

* Was ist dein Gefühl in diesem Traum?

- Ich bin wütend.

* Geh in deine Wut, lass sie hoch kommen, bleibe mindestens eine halbe Minute in deiner Wut und sage dann bloβ die einfachen Worte, Sätze oder Laute, die von dort hoch kommen.
-
(lange Pause) Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich.
* Schrei es hinaus, so laut du nur kannst.

- ICH HASSE DICH, ICH HASSE DICH, ICH HASSE DICH (Pause) Es ist meine Scheißschwester. Sie versucht, alles zu zerstören, was ich tue (und so weiter).

Hier sehen wir es wieder einmal: Wenn wir in einem Gefühl bleiben, schneidet es durch die symbolischen Prozesse des Gehirns hindurch und führt damit schnell zu den unterschiedlichen Ebenen der HOLISTISCHEN EINSICHT. Am Ende kann man Gefühle niemals reinlegen. Das ist der Grund dafür, dass Menschen, die uns manipulieren möchten, es vorziehen, wenn wir nicht fühlen.

Manchmal, wenn alles andere scheitert, kehre einfach von Zeit zu Zeit zum Traum zurück und frage, wie er dein Leben darstellt. Früher oder später erhältst du die Antwort.


Back   Table of Contents  

www.paulvereshack.com
home page